Von Nerds, Dungeons & Dragons und anderen, seltsamen Dingen

Drei der Protagonisten von Stranger Things.

Sprachen verändern sich stetig. Viele Worte haben im Laufe ihres Lebens die verschiedensten Bedeutungen und der Begriff Nerd ist dabei keine Ausnahme. Vor wenigen Jahren wurde die Bezeichnung noch ausschließlich dazu verwendet, um Menschen mit nicht vorhandenen Sozialkompetenzen und unüblichen Interessen zu beleidigen. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat sich die Bedeutung hinter dem Wort Nerd, gemeinsam mit seinem Bruder Geek, aber immer mehr ins Positive verändert.

Die Rache der Geeks

Am einfachsten lässt sich dieser Wandel jedoch beobachten, wenn man zwei bekannte Filme gegenüber stellt, zwischen denen mehr als ein Vierteljahrhundert liegt: Revenge of the Nerds (1984) und The Social Network (2010) zeigen zwei grundlegend verschiedene Interpretationen des Begriffes Nerd. Das Bild des sozialen Außenseiters steht dem eines erfolgreichen Geschäftsmannes gegenüber.

Anfang der 90er scherzten große Zeitschriften noch damit, dass “die Nerds die Weltherrschaft übernehmen werden”. Schuld daran sind nicht zuletzt Computernerds wie Bill Gates, Steve Jobs oder eben Mark Zuckerberg, die vorgemacht haben, dass man mit solchen Interessen durchaus Erfolg im Leben haben kann. Heute ist das Internet voll mit humorvollen Posts über Amazon-Gründer Jeff Bezos oder Allround-Genie Elon Musk, in denen ihre alten Geek-Ichs neben ihre gutaussehenden Milliardär-Personas mit coolen Sonnenbrillen gestellt werden.

Sprachwissenschaftler räumen ein, dass auch amerikanische Serien wie The Big Bang Theory besonders im deutschsprachigen Raum einen großen Teil dazu beitrugen. Mit – oft satirisch übertriebenen – Darstellungen in den modernen Medien wurden die Begriffe Nerd und Geek immer stärker geprägt und verloren allmählich ihren negativen Beigeschmack. Die Hornbrille, das Aushängeschild des stereotypischen Nerds auf der Filmleinwand, machte zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen Imagewechsel durch. War die sogenannte “Nerdbrille” zu Anfang noch ein Modetabu, erfreut sie sich inzwischen unter gerade diesem Namen größter Beliebtheit. Die “Nerdbrille” wird nun mit Stolz getragen.

Im Mainstream mitgerissen

Mit dieser Veränderung wurden auch typische Nerd-Hobbies immer beliebter. Videospiele und Comichefte sind längst nicht mehr nur den Geeks vorbehalten; eSports-Turniere können mit Sportveranstaltungen locker mithalten und Superhelden inspirieren Menschen ihre Körper zu stählen. Vin Diesel, einer von Hollywoods härtesten Kerlen, spielt seit den 1970er Jahren Dungeons & Dragons und hat sogar den Namen eines seiner Charaktere tätowiert. Mila Kunis, Sexiest Woman Alive 2012, spielte bis vor einigen Jahren regelmäßig World of Warcraft. Mehr und mehr prominente Personen lassen ihren inneren Nerd an die Oberfläche und widerlegen damit Schritt für Schritt das ursprüngliche Stereotyp vom sozialen Außenseiter.

Everyone’s a nerd inside, I don’t care how cool you are.

Channing Tatum, über seine Frau Jenna Dewan

Gleichzeitig erfreuen sich diese Themen auch in Filmen und Serien erhöhter Beliebtheit. Vier der zehn erfolgreichsten Kinofilme des letzten Jahres handelten von Marvel oder DC Superhelden, mit Star Wars: The Last Jedi steigt die Zahl der nerdigen Kassenschlager auf fünf von zehn. Science Fiction und Fantasy ist längst nicht mehr nur für Nerds und Geeks, mit durchschnittlich 30 Millionen Zuschauern pro Folge hat die Kultserie Game of Thrones während der siebten Staffel eindeutig bewiesen, dass man nun auch Drachen und Zombies getrost als Mainstream bezeichnen kann. Im TV-Bereich hält die Fantasyserie seit 2012 den Rekord für die am meisten illegal heruntergeladene Serie. Mit The Walking Dead, The Flash und Arrow finden sich unter TorrentFreaks 10 Most Pirated TV Shows auch noch drei Comicverfilmungen.

Nicht auf die Liste der illegal heruntergeladenen Serien hat es, trotz hoher Einschaltquoten, die zweite Staffel von Stranger Things geschafft. Dies verdankt die Science-Fiction-Serie vermutlich dem Streaming-Dienst Netflix, der sie weltweit zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichte. Dennoch, oder genau deswegen, zählt das Abenteuer der vier Jungs im fiktionalen Hawkins der 80er zu den erfolgreichsten Serien des letzten Jahres.

Netflix’ Nerds

Die Protagonisten der amerikanischen Erfolgsserie verkörpern beinahe perfekt das damals typische Bild von Nerds. Ein enger Freundeskreis aus sozialen Außenseitern, die sich für Videospiele, Dungeons & Dragons und ihren AV Club interessieren.

Dem Publikum werden die Hauptcharaktere von Stranger Things vorgestellt, während sie am Anfang der Serie eine Runde Dungeons & Dragons spielen. In den 1980er Jahren wurde das Pen-&-Paper-Rollenspiel noch beinahe ausnahmslos von Nerds und Geeks gespielt, beim Mainstream war es im besten Fall als seltsam verschrien. In Stranger Things übernimmt D&D hauptsächlich die Rolle eines Stilmittels zur Erklärung abstrakter Konzepte wie Paralleldimensionen und zur epischen Vorausdeutung.

Die Geschichte, welche die vier Jungs im Laufe der ersten Staffel spielen, spiegelt in gewisser Weise die Story der ganzen Serie. Auch als sich Will Byers und Co. über ein frühes Ende ihrer Kampagne beschwerten, kündigt die Serie damit inoffiziell bereits die zweite Staffel an. Der verlorene Ritter und die stolze Prinzessin stehen in ihrem Spiel für Polizist Jim Hopper und Elf, die in der Fortsetzung eine noch zentralere Rolle spielen werden.

Die alten Regelwerke wurden extra für Stranger Things nachgebildet.

Viele Konzepte der Serie kann man trotzdem auf Regelwerke des Fantasy-Klassikers zurückführen – solange man diese kennt. In D&D gibt es, wie in den meisten Rollenspielen, verschiedene Klassen für die Charaktere. In Stranger Things verkörpert Dustin beispielsweise einen Barden, da er vorallem durch seine Redegewandtheit und diplomatischen Bemühungen auffällt, während Elf eindeutig die Magierin ist. Aber auch die Monster leihen sich ihre Namen aus dem Rollenspiel-Handbuch. In der ersten Staffel sehen sich die Protagonisten mit einem Demogorgon konfrontiert, während sie sich in der Fortsetzung einem Schatten-Monster stellen müssen, welches sie kurzerhand Gedankenschinder (Mind Flayer) nennen.

Natürlich gibt es dank D&D bereits genügend Theorien zur dritten Staffel von Stranger Things. Die glaubwürdigste unter ihnen sieht Elf als das neue Opfer des Schatten-Monsters. In Dungeons & Dragons gibt es eine gefährlichere Form von Gedankenschindern, welche als Inspiration für das Schatten-Monster dienten. Diese sogenannten Alhoons kombinieren ihre eigene, psyonischen Fähigkeiten mit Magie um noch stärker zu werden. In der letzten Folge blickt eben diese Kreatur auf Elf, als sie mit ihren “magischen” Kräften das Tor zwischen den Dimensionen verschließt.

Siegeszug der Geeks

Trotz des hintergründigen und relativ unauffälligen Auftrittes des fantastischen Kultspieles hat die Serie in vielen Leuten das Interesse geweckt, selbst einmal in die Welt voller Verliese und Drachen einzutauchen. Gemeinsam mit bekannten Streams (Critical Role) und einer generellen Retrowelle wurde dadurch 2017 für Dungeons & Dragons zum erfolgreichsten Jahr überhaupt.

So steht das ikonische Rollenspiel stellvertretend für alle Interessen, die ehemals nur sozialen Außenseitern zugeschrieben wurden. Videospiele, Comics und ähnliche Zeitvertreibe rücken dank einem Zusammenspiel von Filmen, Serien und Streams mehr denn je in den Mittelpunkt der Gesellschaft und gelten immer mehr als “normale” Hobbies.

Durch die Widerlegung gesellschaftlicher Vorurteile gegenüber dem typischen Geek werden die Interessen eben dieser populärer und mit der weiten Verbreitung dieser Hobbies werden Nerds nicht mehr mit dem selben, befremdlichen Blick angesehen wie noch vor einigen Jahren. Die soziale Akzeptanz von Nerds und ihren Interessen geht somit Hand in Hand.

Ein Gastbeitrag von Fabian.
Wenn Fabian gerade nicht mit seiner Kamera auf Konzerten anzutreffen ist, verbringt er seine Zeit entweder zuhause mit Videospielen und Büchern oder bei Freunden mit D&D.

Ihr erreicht ihn via Twitter.

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