LARP (Live Action Role Playing, auch Live-Rollenspiel) ist, soviel ist klar, ein außergewöhnliches Hobby. Vor allem auch weil es eigentlich viel mehr ist: LARP ist ein Livestyle. Die engagierten Spieler stecken in der Regel viel Zeit und Geld ins LARP und in ihre Charaktere. Es ist außerdem eine Disziplin in der Deutschland Vorbildfunktion hat. Zu den größten Cons im Sommer reisen Spieler aus der ganzen Welt an, um zusammen eine fantastische Spielwelt aus dem Nichts entstehen zu lassen. Trotzdem ist LARP noch immer eine Art Untergrundbewegung. Wenn man mit einer Gruppe von Leuten zusammensitzt und vom Larpen erzählt outet sich meist mindestens einer auch als Spieler, trotzdem löst das Thema bei den Meisten erst einmal große Verwunderung aus. Das Hobby ist schwer zu erklären und zu begreifen, wenn man es nie gemacht hat.
Man fühlt sich schnell, als wolle man einem Amish das Fernsehen erklären. Das ist nicht verwunderlich: Bevor man das erste Mal gelarpt hat, konnte man sich selbst auch nicht vorstellen wie schnell man die reale Welt völlig vergessen kann und sich nur noch um magische Artefakte und dunkle Mächte sorgt. Am Ende des ersten Spektakels fühlt man sich wie aus der Welt geschnitten. Für ein paar Tage, die sich angefühlt haben wie Wochen und doch viel zu schnell vorbei gingen, hätte im eigenen Heimatdorf Krieg ausbrechen können und man hätte sich weder dafür interessiert, noch irgendetwas davon mitbekommen.
Freiheiten oder Klischeezwang?
LARP wird immer größer und das ist auch gut so. Kaum ein Setting ermöglicht es sich so aus zu leben und gibt einem so viel. Allgemein ist die „Du-kannst-was-du-darstellen-kannst“- Regel etwas, das sich großer Beliebtheit erfreut. Natürlich lebt LARP auch von Klischees; so kann man mit stolzen 2,10m Körpergröße keinen Zwerg darstellen, aber so lange es überzeugend vermittelt wird, ist man zuerst einmal bereit dem Gegenüber alles zu glauben. Das Charakterspiel kann hier durchaus sehr befreiend sein. Es fällt leichter Schüchternheit und Konventionen zu überwinden, wenn man einen Charakter darstellt und nicht man selbst ist. Doch die Erfahrungen, die der Charakter macht, kann man trotzdem mit in die reale Welt nehmen. Ich habe Leute vor einer großen Gruppe singen, tanzen und auch flirten gesehen, die sich das im normalen Alltag wahrscheinlich niemals getraut hätten.
Alles, was man theoretisch tun muss, um im LARP anerkannt zu werden, ist das was man tut, gut zu tun.
Natürlich ist auch diese Aktivität nicht frei von Vorurteilen. Denn LARP lebt, wie bereits erwähnt, auch von Klischees – doch es sind Klischees und Vorurteile aus einer anderen Welt. Diskriminierung aufgrund von Hautfarben wird durch Diskriminierung auf Grundlage der Rasse ersetzt. Und spitze Ohren zu verteidigen fällt leichter, da es diese in der realen Welt nicht gibt. Im Rollenspiel lädt ein Vorurteil wie „Orks hassen Elfen“ zum Spiel ein. Ein Ork kann sich besonders bemühen um die Freundschaft von Elfen zu erlangen und eben jene vermehrt anspielen oder Elfen können mit Orks diskutieren, sowie Priester versuchen können Andersgläubige zu überzeuge. All das sorgt für Spannungen und mehr Spiel anstelle von gekränkten Gefühlen und dem Ausschluss einzelner Parteien.
© MAKAMI Media, Adrian Schäfer
Doch auch Sexismus ist im LARP ein besonderes Thema. Es gibt Charaktere die sich nicht aus fantastischen Vorlagen speisen, sondern aus rein Historischen, wie beispielweise Kreuzritter und Wikinger. Diese versuchen oft sich möglichst genau an ihre historischen Vorbilder zu halten und damit geht natürlich auch eine besondere Stellung der Frauen einher. Bei Elfen gibt es allgemein keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, bei den Wikingern, oder dem Adel wird gerne damit gespielt, dass Frauen ihren Männern oder Vätern unterstehen und verkauft oder verheiratet werden können, beim Thing nicht sprechen sollen oder Ähnliches. Hier kommt hin und wieder das Gefühl auf, dass man es sich unter dem Banner der vermeintlichen historischen Korrektheit einfach macht. Wer in solchen Settings als Frau in Männerdomänen vordringen will, hat es schwer und muss teilweise auch mit Anfeindungen leben. Ob man als Frau eine solche Rolle spielen möchte, muss man sich gut überlegen. Es gibt Einige, die nach einer Veranstaltung als Nordfrau keinen Spaß mehr an diesem Setting hatten und den Rundschild direkt an den Nagel gehangen haben und Andere, für die so etwas kein Problem darstellt. Letztendlich kommt es auch immer auf die Gruppe, an mit der man spielt.
Weibliche Utopie
Im Allgemeinen jedoch gibt es im LARP wahrscheinlich mehr Frauen in „Führungspositionen“ als in der Realität. Frauen sind mächtige Zauberer und Kaufleute, fähige Heilerinnen und führen durchaus auch Armeen an, genauso wie Männer. Natürlich gibt es auch hier Provokationen und abwertende Kommentare, auf die man als Frau gefasst sein muss, jedoch sind diese in der Regel auch eher als Spielangebot gedacht. Man möchte zur Handlung provozieren und nicht ausschließen. So kommt es durchaus vor, dass man als Frau kaum über das Spielfeld gehen kann ohne von gewissen Gruppierungen wie zum Beispiel den Landsknechten angeflirtet zu werden. Wenn man auf diese Form der Kontaktaufnahmen ebenso forsch eingeht sind die großspurigen Recken jedoch hin und wieder durchaus aus dem Konzept gebracht.
Es gibt, aus ähnlichen Gründen, wie es kaum 2,10m große Zwerge gibt, weniger schwer gerüstete Frauen als Männer, da diese oft nicht von Natur aus körperlich genauso stark sind wie Männer. Es gibt auch weniger männliche Bauchtänzerinnen als weibliche, weil es schlicht mehr Frauen gibt, die tanzen können – das heißt aber nicht, dass so etwas per se ausgeschlossen oder gar verboten ist. Es gibt viele Kriegerinnen und auch den ein oder anderen Mann, der nicht kämpft.
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Auch das ist eine wertvolle Erfahrung, die man als Frau mit in die reale Welt nehmen kann: Man kann sich behaupten und akzeptiert werden, auch in scheinbaren Männerdomänen. Sexismus und Diskriminierung sind nichts, was man hinnehmen muss. Diese Bestärkung kann sehr wertvoll sein, auch wenn man statt der Rüstung mal wieder einen Blazer trägt. Aus Erfahrung lässt sich sagen: Larpen macht selbstbewusster und sicherer, weil man merkt, dass man in der Lage ist sich zu wehren. Natürlich kommt die Frage auf, warum man einen Charakter spielen will, der sich ständig sexistisch äußert.
Wenn man als Spieler 24 stunden IT sein will vermischt sich oft die Wahrnehmung der Person und der Rolle, im Positiven wie Negativen. Das kann als Frau ermüdend sein, aber man muss auch bedenken, dass es im LARP auch Menschen gibt, die blutrünstige Okkultisten spielen und im Spiel Menschen bei lebendigem Leibe häuten, um Rituale durch zu führen. Niemals würde man bei diesen Menschen darauf schließen, dass sie auch als Privatperson gerne mordend durch die Straßen ziehen. Und im Endeffekt kann extremes Verhalten und die Reaktion der andern Spieler sogar vielleicht zu einer Katharsis und Erkenntnis über das eigene Weltbild führen. LARP ist eine riesige Spielwiese und das soll es auch sein. Es ist tausendmal besser, jemand lebt seine unangenehmen Charakterzüge oder Tendenzen in diesem Spiel aus, als im realen Leben.
Ich denke auch, dass die Welt nicht zuletzt allgemein weniger brutal und gewalttätig wäre, wenn jeder hin und wieder die Gelegenheit bekäme sich in einem fiktiven Setting mit Latexwaffen zu prügeln und Krieg zu spielen.
LARP als Lehrer
Im Gegensatz zu den Geschichten, die wir über die klassischen Medien des Films, Fernsehens und der Videospiele vorgesetzt bekommen können wir im LARP unsere eigenen Geschichten schreiben. Übersexualisierter Bikini-armour ist selten zu sehen und Frauen sind mehr als nur Eyecandy oder Love-interests in den Geschichten, die wir dort erleben. Das gilt durchaus auch für Männer. Man muss hier um heldenhaft zu handeln weder jung, noch muskulös sein. Früher oder später entwickeln die Charaktere meist ein Eigenleben, schreiben ihre eigenen Legenden und verändern sich vielleicht durch Erkenntnisse und Erlebnisse im Spiel genauso wie ihre Spieler.
Auch auf Seiten von Organisatoren scheint eine gute Verteilung von Frauen und Männern vorhanden. Dies sorgt nicht zuletzt für ausgewogene Plots und spannende, weibliche wie männliche Nebencharaktere. Die Zeiten, in denen der klassische Rollenspieler ein männlicher, jugendlicher Nerd war sind längst vorbei.
Prinzessinnen retten sich jetzt selbst und streiten Seite an Seite mit Rittern für die Drachen.
Ein Gastbeitrag von Julia.
Julia ist studierte Kommunikationsdesignerin und in ihrer Freizeit leidenschaftliche Schauspielerin und Künstlerin. Sie ist Larperin, Geekculture-begeistert und immer an neuen Projekten und Aufgaben interessiert.
Ihr erreicht sie unter julia@fi-himmelsbach.de