Ich war nie ein Kind, dass sich eine Barbie gewünscht hat. Für mich war das damals oberflächlicher Mädchenkram. Und heimlich habe ich sie mir doch gewünscht. Auch wenn ich nie eine Barbie™ besaß, habe ich mir irgendwann mal billig auf dem Pfarrfest, Trödel oder der Krimes, so genau erinnere ich mich nicht mehr, zwei Bootleg-Versionen von meinem Taschengeld geholt. An sich sind diese Puppen nichts weiteres als das – anatomisch nicht ganz korrekte Plastik-Körper. Eine Leinwand unserer Fantasie. Barbie konnte sein, was wir wollten. Auch wenn sie mit Mattels Hilfe auch Ärztin, Prinzessin, Braut, Fee oder Meerjungfrau sein kann. Ich hatte zwei weibliche Puppen und kann mich bei bestem Willen nicht mehr erinnern, welche Geschichten ich mit ihnen durchlebt habe, mal waren sie Freundinnen, mal Schwestern, mal Partnerinnen. Viel habe ich letztendlich dennoch nicht mit ihnen gespielt. Als ich das Taschengeld zusammen hatte, um mir meine Barbies zu kaufen, war ich auch schon wieder aus dem Alter raus.
Nun hat sich Barbie über die Jahre, auch vor meiner Kindheit, hinweg stetig weiterentwickelt. Wäre auch komisch wenn nicht, schließlich wird Barbie nächstes Jahr bereits 60 und hat sich auch mit den Mädchen und Frauen in dieser Zeit verändert. Anfänglich noch mit kürzeren, braunen Haaren wurde in den 60ern schon bald der Look zur blauäugigen Blondine gewechselt. In den 80ern wurde das Haar voluminöser, in den 90ern ihr Make Up dezenter, welches heutzutage auf ganz natürlich setzt. Unter dem Projektnamen “Project Dawn” wurde dann eine neue Ära der blonden Plastikpuppe eingeläutet. Mit von Barbies Standard abweichenden Körperformen und – größen können unter der Linie “Fashionista” nun Puppen mit insgesamt sieben verschiedenen Hautfarben und vielen verschiedenen Frisuren und Haarfarben erworben werden.
Nicht nur steht Barbie für viel mehr als noch vor fast 60 Jahren, mittlerweile ist sie nicht mehr nur das stille Püppchen und ihr wurde eine Stimme geschenkt, die sie auch nutzt. Ganz im Sinne der Zeit hat Barbie angefangen zu vloggen. In ihren Vlogs teilt das zum jungen Mädchen gewordene Plastik mit ihren Followern und Fans wichtige Erkenntnisse. In “I’m Only ‘Joking’…?” spricht sie darüber, wie Freunde teils gemeine und scherzhafte Dinge über einen sagen, mit dem Zusatz “I’m only joking”, um die Aussagen zu entkräftigen, obwohl sie das Gegenüber treffen und sie sich so aus der Verantwortung ziehen. In ihrem Monolog kritisiert sie diesen “roasting humor” und was besonders schön ist… sie spricht aus ihrer eigenen Erfahrung. Nicht als Opfer, sondern als Täter und animiert uns damit, selbst über unser eigenes Verhalten nachzudenken. In “Sorry Reflex” spricht Barbie einen sicherlich nicht nur bei mir wunden Punkt an. Oft entschuldige ich meine Meinung in meinen Texten, sodass dieses ständige dafür Entschuldigen bereits kritisiert wurde. Statt einfach zu meinen Standpunkten zu stehen. Doch irgendwie leide auch ich unter diesem Sorry Reflex. Barbie beschreibt den Reflex so, dass wir das Wort Sorry, oder Entschuldigung, mittlerweile viel zu oft benutzen, ohne es auch so zu meinen, und uns nahezu reflexartig für alles entschuldigen, das irgendwie schief geht. Werden wir angerempelt, sind wir es, die sich entschuldigen, statt zu sagen “schon okay”. Im Restaurant wird uns kaltes Essen serviert – “Entschuldigung, mein Essen ist kalt, könnten Sie es vielleicht aufwärmen?”. Wir entschuldigen uns, wenn wir traurig sind und niemandem damit die Laune verderben wollen.
Heutzutage muss wohl niemand mehr denken, dass Barbie nur eine oberflächliche Puppe sei, so wie ich es in meiner Kindheit getan habe, sondern kann sich auch als Erwachsener mit seinen Kindern hinsetzen, mit Barbies spielen, gemeinsam ihre Vlogs gucken und darüber nachdenken und sprechen. Auch ohne Kind. Wo sie vor 20 Jahren noch zu oberflächlich für mich war, regt sie mich heute zur Selbstreflexion an und ist viel mehr, als nur eine stimmlose Puppe, die den unrealistischen Schönheitsidealen ihrer Zeit entspricht.