Wahrscheinlich viele werden die junge Frau kennen, mit ihrer roten Gesichtsbemalung und ihrem Fellumhang. Die meisten werden wohl auch wissen, dass es sich hierbei um „Prinzessin Mononoke” handelt, wobei die Protagonistin des Films eigentlich San heißt. Und viele werden den Film vielleicht auch gesehen haben, handelt es sich bei dem Ghibli-Werk um einen der wenigen Anime, die schon früh einen hohen Bekanntheitsgrad erhielten und dem japanischen Film im allgemeinem mehr Aufmerksamkeit zu Gute kommen ließen. Selbst mein Großvater kannte den Film schon, als ich ihn meinen Großeltern im Rahmen meiner Prüfungsvorbereitung zeigen wollte. „Darstellung der Frauenrolle in Animationsfilmen des Studio Ghiblis am Beispiel ‘mononoke hime’” war tatsächlich einer der beiden Themenkomplexe, die ich mir für meine erste Hochschul-Prüfung nach den Standard-Klausuren ausgesucht habe (der andere war übrigens „Die Verarbeitung des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki im ersten ‘Godzilla’-Film (1954)”, aber so ein Artikel passt weniger auf Red Riding Rogue…). Nun möchte ich dieses Thema nochmal kurz aufarbeiten und mit euch teilen.
Many of my movies have strong female leads- brave, self-sufficient girls that don’t think twice about fighting for what they believe with all their heart. They’ll need a friend, or a supporter, but never a savior. Any woman is just as capable of being a hero as any man.
Hayao Miyazaki
Schaut man sich die Filmografie von Regisseur Hayao Miyazaki an, fällt einem auf, dass seine Filme durchweg fast alle einen female lead oder zumindest eine zusätzlich weibliche Protagonistin haben. Tatsächlich ist es Prinz Ashitaka, der in „Prinzessin Mononoke” die zentralste Hauptrolle übernimmt und eine Schlüsselposition innehält, wenn er zwischen den beiden weiblichen Hauptrollen, San und Eboshi, vermittelt. An dieser Stelle der Hinweis, dass ich auf eine reine Inhaltswiedergabe verzichten will. Für alle, die ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen oder zumindest einen kurzen Eindruck gewinnen wollen, hier nochmal der Trailer.
Es ist nicht alles schwarz oder weiß
Das Schöne an den Ghibli-Filmen ist, dass sie auf ein klassisches Gut gegen Böse verzichten. Figuren und deren Beweggründe werden meist komplex dargestellt und weisen „gute” wie auch „schlechte” oder „böse” Charakterzüge auf. So ist es auch mit den beiden Frauen, die neben Prinz Ashitaka in „Prinzessin Mononoke” die Hauptrollen einnehmen. Während San als Protagonistin auftritt, kann Eboshi in dem Fall als Antagonistin im Film angesehen werden. Eboshi ist Anführerin und Oberhaupt der Eisenhütte und somit Feindbild von San und ihrer Wolfsfamilie. Sans Hauptmotiv ist ihr Menschenhass, waren die Menschen, die sie in ihrem Leben kennengelernt hat, es bisher nur darauf aus, den Wald, ihre Heimat, abzuholzen. Da „Prinzessin Mononoke” neben seiner feministischen vor allem eine umweltbewusste Botschaft trägt, ist klar, dass in dem Fall Eboshi auf der bösen Seite steht. Doch was sind eigentlich ihre Beweggründe?
In einer vom Krieg geprägten Zeit erkennt Eboshi den Wert des Eisens und der Waffenherstellung. Auch wenn der Anime natürlich in einer fiktiven Welt spielt, lässt er sich am ehesten in der japanischen Muromachi-Zeit (ca. 1339 bis 1573) einordnen. Das Ashikaga-Shōgunat stellte noch die zentrale Machtposition, ihm wurde jedoch nach und nach vom bakufu (der „Militärregierung”) die Macht entzogen. Auch wenn Frauen zu der Zeit nur gering geschätzt wurden, übernahmen sie jedoch mehr und wichtige Aufgaben, während ihre Männer im Onin-Krieg (1467-1477) kämpften. Zurück in der Welt von Mononoke ist es Eboshi, die sich in dieser Zeit um die Frauen kümmert. Genauer gesagt: um Prostituierte. Sie kaufte sie aus ihren Bordellen frei und bot ihnen mit der Eisenhütte nicht nur Arbeit, sondern auch Schutz, Akzeptanz und Respekt. Sie hilft ihnen, indem sie den Frauen den Umgang mit Waffen zeigt und wie sie sich damit selbst beschützen können. In der Eisenhütte holzen die Frauen den Wald für ihre Eisenverarbeitung und Waffenherstellung ab, in Hoffnung auf Reichtum und Macht.
Die Frauen der Eisenhütte, nachdem ein männlicher Bote ihren mangelnden Respekt kritisiert. („Prinzessin Mononoke”, 2001)
„Prinzessin Mononoke” schafft es, zwei verschiedene Frauen in ihrer Komplexität und Diversität darzustellen, die bereit sind, für ihre Ideale einzustehen und bis auf den Tod zu kämpfen. Prinz Ashitaka ist es letztendlich, der als Vermittler zwischen beiden Frauen, beiden Fronten, agieren muss. Anders als beispielsweise alle Disney-Filme zu dieser Zeit kommt der Anime dennoch ohne ausschweifende Romanze aus, obwohl einige in dieser Dreierkonstellation wahrscheinlich nahezu eine Einladung dazu sehen.
I’ve become skeptical of the unwritten rule that just because a boy and girl appear in the same feature, a romance must ensue. Rather, I want to portray a slightly different relationship, one where the two mutually inspire each other to live – if I’m able to, then perhaps I’ll be closer to portraying a true expression of love.
Hayao Miyazaki
Seiner Zeit voraus
Das „Thema” Feminismus scheint heutzutage präsenter denn je. Nun ist „Prinzessin Mononoke” bereits vor über 20 Jahren erstmals erschienen, 1997 wurde der Film auf japanischen Leinwänden ausgestrahlt, 2001 kam er auch in die deutschen Kinos und bereits 1994 begannen die Arbeiten am Anime. Nun scheint es eigentlich leicht, feministische Botschaften und starke Frauen in voller Komplexität darzustellen, wie es Miyazaki eben in diesem Anime tat. Dass „Prinzessin Mononoke” damit jedoch seiner Zeit voraus war beweist ein Blick auf sonstige Filme, die in den 1990er erfolgreich waren. Im japanischen Kino waren vor allem die Filme „Hana-Bi” (Takeshi Kitano, 1997), „Unagi” (Shōhei Imamura, 1997), „Shall we dansu?” (Masayuki Suo, 1996) und „Ghost in the Shell” (Mamoru Oshii, 1995) beliebt. Letzteren kennen vielleicht die meisten, auch durch die erst kürzlich erschienene Hollywood-Adaption. In „Hana-Bi” sehen wir jedoch eine kranke, hilflose Frau. In „Unagi” wird die Ehefrau wegen ihrer angeblichen Untreue von ihrem Mann umgebracht und in „Shall we dansu?” verheimlicht der Familienvater sein Hobby und geheimes Privatleben vor Frau und Tochter, die daraufhin einen Privatdetektiv auf ihn ansetzen. Wenn wir Studio Ghibli nun als erfolgreichstes asiatisches Animationsstudio mit dem erfolgreichsten westlichen Studio, Disney, vergleichen, welche Filme und Frauenbilder hat eben Disney zu dieser Zeit vermittelt?„Pocahontas” (1995), „Der Glöckner von Notre Dame” (1996), „Die Schöne und das Biest” (1997), „Mulan” (1998) und „Tarzan” (1999). Über Pocahontas und Mulan schrieben wir übrigens schon in diesem Beitrag hier. Nun möchte ich einigen der Disney-Damen nicht ihre Stärken absprechen, jedoch gelingt Disney erst 2013 mit „Die Eiskönigin” eine wirklich komplexere Darstellung unabhängiger Frauen mit kritischem Blick auf klassische Gender-Klischees.
Neben San und Eboshi zeigt der Film jedoch noch mehr weibliche Figuren mit Vorbildcharakter. Nicht nur Moro, die quasi alleinerziehende Wolfsmutter von San und ihren Geschwistern, auch Ashitakas Clan, der nur zu Beginn des Filmes zu sehen ist, wird von einer Frau, Emishi, angeführt. Nicht zu vergessen all die Frauen, die in der Eisenhütte arbeiten, von denen besonders Toki detaillierter portraitiert wird, da sie in Abwesenheit von Lady Eboshi die Sprecherrolle annimmt. Doch nicht nur wegen seiner stark feministischen und umweltbewussten Note ist der Film eine Sichtung wert. „Prinzessin Mononoke” zeigt Frauen, ohne sie zu Objekten zu machen, die vorkommen und eine Quote erfüllen müssen. Sie stehen für ihre Ideale, haben ihre Stärken und ihre Schwächen, es gibt kein richtig oder falsch, wir bekommen kein gut gegen böse gezeigt, sondern realistische Figuren mit all ihren Facetten. Dabei muss uns der Anime nicht einmal ins Gesicht drücken, was für tolle Frauenrollen hier geboten werden, er passiert einfach. Der gezeigte Feminismus ist keine Agenda, die abgehakt wird, sondern eine Selbstverständlichkeit. Vielmehr lehrt uns der Film über unsere Komplexität allgemein. Beweggründe und Ideale und was daraus, ohne Rücksicht auf Verluste, passieren kann. Ashitaka tritt als Vermittler ein, er zeigt uns auf, dass nicht alles schwarz oder weiß ist. Er hilft, die Einstellung anderer zur verstehen und zu respektieren, ohne dass man sie gleich teilen muss.
This is what hatred looks like! This is what it does when it catches hold of you! It’s eating me alive, and very soon now it will kill me! Fear and anger only make it grow faster!
Ashitaka in „Prinzessin Mononoke”
Neben dem Film selbst (Amazon-Partnerlink) bezieht sich dieser Beitrag vor allem auf die Texte „Disney, Miyazaki and Feminism: Why Western girls need Japanese animation” von Christine Hoff Kramer und „Feminism in Princess Mononoke” von J. Ferro als Quellen.
Sehr schöner Artikel. Ich könnte mir vorstellen darüber noch ausufernder zu lesen. Ich finde nämlich gerade den Disney-Ghibli Vergleich spannend da ich denke, daaa bei Disneyfilmen seit Jahrzehnten kaum etwas passiert ist außer klassische „Damsel in Distress“-Szenarien. Weiter so.
Tatsächlich war das damals auch mein ursprünglicher Wunsch, einen Vergleich zwischen Disney und Ghibli zu ziehen, nur war das Thema damals zu umfangreich für die Prüfung. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, da nochmal auf Red Riding Rogue näher ins Detail zu gehen. Ob nochmal explizit mit Filmbeispielen oder allgemein über die Filmografie gesprochen. Mal schauen, was ich da sonst noch so für Quellen zu finde! 🙂
Ein Text zu Prinzessin Mononoke? Ich muss etwas dazu schreiben. Ein ungeschriebenes Gesetz.
Das tolle an Mononoke ist ja, dass der Film, wie so viele Ghibli-Filme, mit jedem schauen besser wird. Und ich, dadurch das ich älter werde, auch viel mehr verstehe. Zu Beginn fand ich natürlich Ashitaka toll, aber mit der Zeit wandelte sich der Eindruck. Gerieten andere Figuren in den Fokus, haben sich Meinungen geändert. Über die Frauen wurde ja schon genug gesagt hier. Spannend finde ich, dass ausschließlich die Männer/männlichen Figuren von dem Fluch Befällen sind. Ashitaka natürlich. Die beiden großen Eber. Klar sind später auch San und ihre Ziehmutter betroffen, aber doch auch in anderer Form.
Dieser Film bietet einfach so viel und ich wette, ich hab immer noch nicht alles erkannt und verstanden.
Vielen Dank für deinen Kommentar! Tatsächlich hab ich selbst noch nie so wirklich darüber nachgedacht, dass nur die männlichen Figuren vom Fluch betroffen sind, dabei liegt es ja eigentlich so klar auf der Hand. Ich sollte bald auch mal wieder einen Rewatch machen.
Emishi ist nicht der Name der Frau, sondern der Name eines inzwischen nicht mehr existierenden Volkes, das früher in Nord- und Ostjapan lebte.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ezo_(Volk)