Ich habe bis heute eine große Liebe für Hörbücher. Das liegt zum einen daran, dass sich monotone Dinge wie Geschirrspülen oder lange Scansessions in der Bibliothek besser aushalten lassen, wenn ich irgendetwas Interessantes auf den Ohren habe, zum anderen lösen Hörbücher bei mir auch immer eine gewisse Nostalgie aus. Zuzuhören, wie mir jemand vorliest, war einer meiner ersten Berührungspunkte mit Büchern und – viel wichtiger – Geschichten. Meine Lieblingsbilderbücher kannte ich auswendig und jeder Versuch, eine abendliche Vorleserunde abzukürzen, wurde von mir nicht nur bemerkt, sondern auch mit all meiner strafenden Energie eines Kleinkindes gerügt.
Mit der Zeit wurden aus Bilderbüchern die ersten Romane und sobald ich auch nur halbwegs flüssig diese Bücher selbst lesen konnte, gab es fast kein halten mehr. Ich fing an, mir im Urlaub mit meiner Mutter eine Büchertasche zu teilen und fast jedes Angebot meiner Eltern, mir bei einem Besuch im Buchladen ein Buch zu spendieren, führte zu langen Verhandlungen, ob es nicht doch zwei sein könnten, weil ich mich nicht entscheiden konnte. Über Jahre hinweg habe ich gelesen, gelesen und gelesen. Besonders Fantasy und historische Romane hatten es mir angetan und meine Bücher aus dieser Zeit füllen bis heute selbst nach der einen oder anderen Aussortieraktion ganze Regale bei meinen Eltern.
Und trotzdem: Die Bücher aus dieser Zeit, die ich auch heute noch fast jederzeit nochmal in die Hand nehmen würde, lassen sich wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Eines davon ist „Tochter des Nils“ von Eloise Jarvis McGraw.
Die Geschichte spielt im alten Ägypten zur Zeit der Herrschaft der Pharaonin Hatschepsut. Mara, ein Sklavenmädchen, will nichts sehnlicher erreichen als ihre Freiheit und geht dafür mit ihrem neuen Herrn einen Handel ein: Sie soll als Übersetzerin am Hof Hatschepsuts deren Stiefsohn Thutmosis ausspionieren. Doch nicht nur Thutmosis‘ Feinde intrigieren am Hof und bald schon findet sich Mara in einer Doppelrolle wieder und stimmt zu, auch für Scheftu, einen jungen Fürsten und Anhänger Thutmosis‘, zu spionieren. Sorgsam darauf bedacht, dass keine Seite je erfährt, dass Mara für beide spioniert, was ihren Tod bedeuten würde, macht sie sich also daran, sowohl für die Anhänger der Königin als auch für die ihres Stiefsohns Informationen zu beschaffen. – Und natürlich kann das nicht lange gutgehen.
Im Grunde ist die Geschichte, die der Roman erzählt, allem politischen Brodeln in der Rahmenhandlung zum Trotz sehr simpel. Mara, die verzweifelt um ihre Freiheit kämpft, will eigentlich nur ganz opportunistisch für die Seite arbeiten, die ihr diese Freiheit garantieren kann. AM Hof angekommen beginnt sie allerdings zunächst, mit sowohl mit Thutmosis als auch seiner unglücklichen Braut Innai, für die sie übersetzt, zu sympathisieren, und verliebt sich im Zuge ihrer Spioniererei dabei langsam, aber sicher in Scheftu. Der wiederum würde Thutmosis bis in den Tod folgen, was angesichts der Tatsache, dass beide Männer gegen die Pharaonin Hatschepsut intrigieren, eine reale Bedrohung ist und Mara wiederum mehr und mehr Thutmosis‘ Seite zugeneigt sein lässt. Eine der Geschichten, von der man schon relativ schnell weiß, dass sie wahrscheinlich mit einem Happy End enden, aber auf dem Weg viel Drama mit sich bringen.
Ich erinnere mich, dass ich Mara vom ersten Lesen an mochte. Sie war mutig, schlau und unaufhaltsam. Die Art Protagonistin, die aus einer unmöglichen Situation alles macht, was sie machen kann, ganz egal, was ihre Welt ihr entgegen schleudert. Außerdem war sie eine der wenigen Frauenfiguren in den historischen Romanen, die ich damals gelesen habe, über die alle anderen Macht hatten und die trotzdem mit erhobenem Kopf jedes Bisschen Unabhängigkeit, das sie hatte, eisern verteidigt hat. Ich erinnere mich, wie ich es mochte, dass sie sich Zeit nahm, die unglückliche Prinzessin Innai zu trösten, die von allen anderen – inklusive Thutmosis – kalt und herzlos behandelt wird und schreckliches Heimweh hat. Ich mochte auch Scheftu, der mir wie ein heilloser Idealist vorkam und das meiste an plotrelevantem Konflikt produziert, aber Mara war die Figur, die die Geschichte wirklich getragen hat.
Ich habe nie ein anderes Buch der Autorin gelesen, aber „Tochter des Nils“ habe ich über die Jahre in mehreren zerfledderten Büchereiausgaben über meine eigene Ausgabe des deutschen Taschenbuchs bis hin zum englischen eBook in den Händen gehabt. Nicht nur weil ich das Setting mochte, was sonst der Grund war, warum ich historische Romane gelesen habe. Nicht einmal, weil mich die Handlung so unendlich fasziniert hätte, sondern weil ich Mara mochte.
Ein Gastbeitrag von Aurelia.
Aurelia studiert Geschichte und Digital Humanities und schreibt auf Geekgeflüster einmal quer durch die Popkultur. Seit 2012 ist Geekgeflüster ihr Spielplatz für ihre Texte rund um Videospiele, Bücher, Filme und Serien.
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