Kindheit in Seiten: Eine Reihe Betrüblicher Ereignisse

Buchcover von Lemony Snickets "Eine Reihe Betrüblicher Ereignisse"
Eine Reihe Betrüblicher Ereignisse von Lemony Snicket

Ich habe schon immer gerne und viel gelesen, denn ich liebe Geschichten. Lesen war für mich als Kind natürlich sehr befreiend, denn es war die Möglichkeit, immer wenn ich wollte, an eine neue Geschichte zu kommen und so habe ich mich gar nicht mit so genannten Erstlesebüchern aufgehalten und mich bereits zum Anfang meiner Lesekarriere in dicke Wälzer und Bücher gestürzt, die am Anfang wahrscheinlich sogar ein bisschen zu kompliziert für mich waren. Und natürlich sind Bücherreihen noch besser als Stand-Alone-Werke, denn hier ist die Geschichte nach einem Buch noch lange nicht vorbei. Die besten Kinder- und Jugendbücher sind meiner Meinung aber auch die, die man immer mehr versteht, je älter man wird. Unter der eigentlichen Geschichte liegen hier oft Anspielungen und Witze, die man erst als Erwachsener versteht und die einen noch Jahre nach dem ersten Lesen zum Schmunzeln bringen. „Eine Reihe Betrüblicher Ereignisse“ ist so ein Buch.

Die Handlung klingt zunächst tatsächlich betrüblich, ja sogar schrecklich. Die drei Kinder Violet, Sunny und Klaus Beaudelaire erhalten zu Anfang des ersten Bandes (Der schreckliche Anfang) bei einem Ausflug zum Strand die schreckliche Nachricht, dass ihr Zuhause in einem großen Feuer abgebrannt ist und ihre Eltern in eben jenem Feuer verstorben sind. Von da an beginnt eine Reise von Vormund zu Vormund für die Geschwister, wobei sie stets von dem mysteriösen Graf Olaf verfolgt werden, der an ihr Familienvermögen herankommen will. Dabei trachtet er den Beaudelaires und ihren jeweiligen Vormündern nach dem Leben und erscheint in immer neuen Verkleidungen, die die Geschwister stets durchschauen, auf die die Erwachsenen aber zielsicher hereinfallen. Zu diesem Versteckspiel gesellt sich eine Geheimorganisation, die hinter all dem zu stecken scheint und deren Geheimnisse ebenfalls gelüftet werden müssen. Die Geschichte von Lemony Snicket ist bevölkert von skurilen Figuren und Orten. Sie ist abstrakt genug, um nicht völlig ernst genommen zu werden und doch ist das Gefühl von Bedrohung für die Kinder, mit denen man sich als Leser identifiziert, von Buch zu Buch ansteigend. Der Tod von Figuren, die den Kindern freundlich und wohl gesonnen sind, ist keine Seltenheit und oft der Tatsache geschuldet, dass die Beaudelairegeschwister bei dem Versuch, sie zu beschützen, scheitern. Warum aber ist eine so furchtbare Geschichte nun eine meiner Lieblingsbücherreihen? Zum Einen hat der Autor es geschafft diese Bücher mit einem fantastischen Schreibstil zum Leben zu erwecken. Lemony Snicket, das Pseudonym des Autors, tritt als Erzähler auf und kommentiert die Handlung auf herrlich ironische Weise. Er erklärt Begriffe, die vielleicht für manche Kinder fremd sind, auf eine Art, die dazu geführt hat, dass ich ihn heute noch gerne zitiere. „Optimist ist ein Wort, das eine Person bezeichnet, die über fast alles hoffnungsvoll und angenehm denkt. Wenn zum Beispiel einem Optimisten der linke Arm von einem Krokodil abgebissen würde, würde er möglicherweise in einer angenehmen und hoffungsvollen Art und Weise sagen: „Nun das ist nicht so schlimm. Ich habe zwar meinen linken Arm nicht mehr, dafür wird mich aber nie mehr jemand fragen, ob ich Rechts- oder Linkshänder bin. Die meisten normalen Menschen würden eher etwas sagen wie: ‚Aua! Aua! Mein Arm! Mein Arm!’“

Des Weiteren gibt es herrliche Anspielungen auf literarische Werke, die mal versteckt, mal offensichtlich in der Handlung versteckt sind, allen voran der Name „Beaudelaire“. Zudem ist die Handlung vielschichtig wie Nichts, das ich seitdem gelesen habe, denn alle Figuren sind in ein undurchsichtiges Geflecht aus Beziehungen eingewoben, das sich nach und nach verdichtet. Der Autor selbst wird als Erzähler Teil der Handlung und erwähnt nach und nach Teile seiner eigenen tragischen Geschichte, Graf Olaf, die Eltern der Kinder und die Geheimorganisation hängen untrennbar zusammen und je mehr man erfährt, desto mehr Fragen hat man. Das ist unglaublich spannend, aber über all dem steht auch die Geschichte von drei Kindern und diese Geschichte ist eine Geschichte des Erwachsenwerdens. Die Geschwister müssen lernen, dass man sich nicht immer auf Erwachsene verlassen kann. Es gibt Menschen, die einem Gutes wollen und diese Menschen sind unglaublich wertvoll, doch niemand ist unfehlbar. Man muss seinen eigen Verstand benutzen und selbst handeln und natürlich die tragische Wahrheit verstehen, dass Erwachsene oft nicht auf Kinder hören, weil sie sie für unterlegen halten und dass sich gute Menschen oft selbst im Weg stehen. Das sind harte Erkenntnisse für ein Jugendbuch, aber die drei Komponenten aus fesselnder, skurriler Geschichte, einzigartigem Schreibstil und wichtiger Moral machen diese Bücher zu etwas ganz Besonderem.

Meine Bücher sind leider schon längst zerschlissen. Aber vor einiger Zeit habe ich mir die Hörbücher zugelegt und höre diese Reihe seitdem mindestens einmal im Jahr. Ich kann nur jedem erwachsenen Kind empfehlen, sich diese Meisterwerke auch einmal anzusehen …oder anzuhören. Es lohnt sich immer wieder. Wie Lemony Snicket sagt: „Böse Menschen haben nie Zeit zu lesen – das ist einer der Gründe für ihre Boshaftigkeit“ oder „Lesen ist eine Form des Eskapismus. Um dein Leben zu rennen, eine andere.“

Ein Gastbeitrag von Julia.
Julia ist studierte Kommunikationsdesignerin und in ihrer Freizeit leidenschaftliche Schauspielerin und Künstlerin. Sie ist Larperin, Geekculture-begeistert und immer an neuen Projekten und Aufgaben interessiert.

Ihr erreicht sie unter julia@fi-himmelsbach.de

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