Als Vierte in unser Artikelreihe „Kindheit in Seiten“ möchte ich euch diesen Monat mein absolutes Lieblingsbuch vorstellen und zwar „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende.
Vorweg zuerst ein kleiner Exkurs in meine Kindheit. Ich war eine totale Leseratte. Ich habe tatsächlich so viel und so schnell gelesen, dass meine Eltern kaum hinterher kamen mir neue Bücher zu kaufen. Gleichzeitig waren meine Eltern aber auch immer sehr darauf bedacht, was sie mir angeboten haben, denn ich war/bin jemand, der sich wirklich immens auf Bücher einlässt und sich sehr mit den Themen beschäftigt – wenn das Buch gut ist und das schafft, selbstverständlich. An die Massen an mittelmäßigen Büchern, die ich gelesen habe, erinnere ich mich entsprechend kaum noch.
Und dann ist da „Die unendliche Geschichte“, von der ich heute noch das Cover blind zeichnen könnte, ich erinnere mich an die kleine Schrift in verschiedenen Farben, was ich so noch nie vorher gesehen hatte, ich erinnere mich an die Namen der Figuren und habe ganze Szenen noch vor Augen, als hätte ich den Roman erst gestern gelesen.
Der Klappentext:
»Tu, was du willst«, lautet die Inschrift auf dem Symbol der unumschränkten Herrschaftsgewalt in Phantásien. Doch was dieser Satz in Wirklichkeit bedeutet, erfährt Bastian erst, als ihn ein magisches Buch in das wunderbare Land entführt. Phantásien ist vom Untergang bedroht. Um das Reich der Kindlichen Kaiserin vor dem Nichts zu retten, muss Bastian immer tiefer in das Land der Irrlichter, Schlafmuffen, Gnomen und Glücksdrachen eindringen und gerät dabei in den Strudel grenzenloser Phantasie.
Die unendliche Geschichte führt zwei Welten zusammen. Die von Bastian, für den Lesen eine willkommene Flucht aus seinem Leben ist. Er ist Halbwaise, Außenseiter und wird von Klassenkameraden schikaniert. Durch Lesen des Buches, welches selbst „Die unendliche Geschichte“ heißt beginnt er aufzublühen. Mehr und mehr wird er vom Leser zu einem Teil der Welt namens Phantasien, droht sogar sich darin zu verlieren, aber findet sich dabei selbst.
Gerade als lesendes Kind, welches mehr und mehr in die Story hineingezogen wird, versteht man Bastian. Wir alle sind quasi Bastian, denn auch wir halten in diesen Momenten ja die unendliche Geschichte in der Hand.
In Phantasien selbst lernen wir Atréju kennen, ein junger Jäger, der von der kranken Herrscherin, der Kindlichen Kaiserin, auf ein Abenteuer geschickt wird um seine Welt zu retten und die Ursache für die Krankheit zu finden, die nicht nur die Kaiserin selbst, sondern das ganze Reich befallen hat.
Dabei treffen wir in dieser wundervollen Geschichte auf Hindernisse, phantastische Wesen wie den Glücksdrachen Fuchur, aber auch sehr ernste Themen, die hier Kindern auf eine ganz selbstverständliche Weise beigebracht werden.
Ohne belehrend zu sein, inspiriert das Märchen dazu, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen, indem man sie konfrontiert. Es appelliert nie seine Fantasie zu verlieren und gibt so jedem jungen Bücherwurm ein warmes Gefühl mit auf den Weg.
Über die Interpretationen und die vielen Ebenen der unendlichen Geschichte könnte ich sicher Bücher schreiben. Das, was am meisten hängengeblieben ist, aber die Präsenz des „Nichts“. Es verschlingt Bastian in seiner Welt, es verschlingt die Kaiserin, es verschlingt ganz Phantasien.Das Nichts lässt sich verstehen als eine große Trostlosigkeit, Stillstand, Abwesenheit von Hoffnung, Fantasie, Lebensfreude.
Neben klaren Bezügen zum Krieg und was er mit der Welt anrichtet, finden sich dabei auch starke Bezüge zu Depressionen und Unsicherheit und Angst, die oft schon Kinder spüren müssen.
Bastian führt einen Krieg mit seinem eigenen Leben und gegen Verstand. Das wird nicht benannt oder diagnostiziert und das brauch es auch nicht. Denn obwohl man als Kind weder Krieg, noch psychische Probleme wirklich greifen kann, so verstehen wir doch, was los ist, wir fühlen mit.
Am Ende inspiriert der Roman zu Hoffnung und Phantasie, zu Neuanfängen aus eigener Kraft, zu Freundschaft und Nächstenliebe.
Es gibt Menschen, die können nie nach Phantásien kommen, und es gibt Menschen, die können es, aber sie bleiben für immer dort. Und dann gibt es noch einige, die gehen nach Phantásien und kehren wieder zurück. So wie du, Bastian. Und sie machen beide Welten gesund.
– (Die unendliche Geschichte, S. 473)
Ich denke, je öfter man das Buch liest, desto mehr versteht man. Je älter man ist, desto mehr werden einem Metaphern und Parallelen zu unsere Welt bewusst und gerade deswegen ist „Die unendliche Geschichte“ ein Buch für Kinder und Erwachsene. Ich denke, dass das Buch neben tollen Figuren und einer bunten, lebendigen Märchenwelt eine schöne Aussage hat und einen mit seinen eigenen Ängsten an die Hand nimmt.
Ich denke auch, dass Michael Endes Roman Kindern Empathie zeigt, die sie so noch nicht kennen, während Erwachsene diese vielleicht schon wieder vergessen haben.
Auf meiner Jubiläumsausgabe steht Folgendes auf dem Buchrücken:
„Ein Kinderbuch, auch für Erwachsene. Ein Erwachsenen-Buch, auch für Kinder.“ –
Dem schließe ich mich vorbehaltlos an.
Und ich hätte mir gewünscht, dass die unendliche Geschichte wirklich niemals aufhört.